Utiseta – Zeremonielles „Draussen Sitzen“
Auf der Eingangseite dieser Homepage sowie in meinem ersten Blog-Post beschreibe ich utiseta als alte Praxis unserer germanischen, nordischen Vorfahren, raus in die Natur zu gehen und dort zu sitzen, mit der Mitwelt in Kontakt zu gehen. Das ist eine sehr verkürzte und oberflächliche Darstellung, die immer wieder zu Irritationen führt. Daher möchte ich heute ein wenig mehr dazu erklären:
Als vor 4 Jahren an meinem Sitzplatz im Wald das Wort „utiseta“ zu mir kam, konnte ich zuerst nicht viel mit dem Begriff anfangen. Ich las und recherchierte und staunte, je mehr ich las.
Das „utiseta“ („Draußensitzen“) wurde bei den Germanen auch „sera uri il frodleiks“ „Draußen sitzen, um Weisheit zu erlangen'“ und „hloridorsaza“ („Rufen-Sitzen*) genannt. Menschen der nordischen Kulturen sind im Rahmen einer Zeremonie alleine und individuell nach draussen gegangen, um mit ihren Vorfahr*innen in Kontakt zu gehen, von ihnen Rat zu erhalten, Antworten auf Fragen. Manchmal fand dies vor dem Grab der Toten statt oder auch an einer Weg-Kreuzung. Und baten die Toten um Rat und Hilfe.
In der Literatur finden wir Hinweise auf zeremonielle Utensilien wie Zaubersprüche und Zauberlieder, einen Zauberstab, einen besonderen Mantel oder auch Hinweise, dass die Menschen sich in Trance begaben oder. Ich habe keine klare Unterscheidung zwischen der inneren Reise der betenden / bittenden Person ins Jenseits zu den Ahn*innen und dem Herbeirufen der Ahn*innen aus dem Jenseits zu der betenden / bittenden Person gefunden. Jedoch habe ich auch Hinweise gefunden, dass nicht nur die eigenen Ahn*innen, sondern auch die Götter, vor allem Odin, „Herr der Totengeister“, dabei gerufen wurde.
Vor allem bei Krankheiten scheint man sich an die Ahn*innen gewandt zu haben. Zum Beispiel sagt eine Quelle, dass man ihnen ein hölzernes Abbild des Gliedes, das erkrankt war, brachte Man brachte den Toten auch „Lichter“, Speisen und andere Opfergaben – vermutlich als Dank für ihre Hilfe. Und dann gab es auch noch Hinweise darauf, dass es längere Aufenthalte beim utiseta gab, vielleicht ähnlich einer Art „Visionssuche“, wo die Menschen größere Visionen für sich und ihre Gemeinschaft suchten und erhielten.
Die utiseta Zeremonie, ob kurz oder lang, war vermutlich keine leichte Sache, es brauchte Vorbereitung, vielleicht wurde gefastet, es war körperlich vermutlich anstrengend und herausfordernd – und sei es nur, weil die klimatischen Herausforderungen auch Kälte und Niederschlag mit sich brachten. Zeremonien wie diese spielten als Teil des spirituellen Lebens vermutlich eine wichtige Rolle innerhalb der germanischen Kultur und haben den Menschen geholfen, Schicksalsschläge und herausfordernde Aspekte des Lebens zu akzeptieren und ihnen eine Bedeutung zu geben, um weitermachen zu können. Zeremonien wie diese waren eingebettet in eine zutiefst naturverbundene Kultur und Spiritualität. Später wurden diese Zeremonien dann von der Kirche verboten, darüber gibt es viele gut erhaltene Belege.
Als ich dies und noch mehr herausfand, war ich damals sehr bewegt – wie tief verbunden die Menschen damals mit ihrem Land und all den Lebewesen um sie herum, den Pflanzen, Tieren, Wolken, Steinen etc waren. Und wie verbunden sie auch mit ihren Vorfahren waren, welche wichtige Rolle sie in ihrem Alltag und ihrer Kultur gespielt haben. Es rührte stark meine Sehnsucht nach echter und tiefer naturverbundener Kultur und Spiritualität an, vor allem, weil ich selber fast nichts weiß über meine eigenen Vorfahren und über das Land, mit dem sie gelebt haben. Soviel ist verloren gegangen in den zwei Weltkriegen… soviel Entwurzelung und Haltlosigkeit.
Über Monate hinweg ging ich mit der Frage, ob mein Wirken in der Welt, mit dem ich genau für diese Kultur gehen will, sie neu und zeitgemäß mit anderen kreieren möchte, ob dieses Wirken in der Welt wirklich diesen Namen „utiseta“ bekommen kann. Viele Gespräche mit Freunden und Beratern später zeigte sich deutlich in mir: ja, das ist es! Ich habe, weil ich aufgrund meiner Familiengeschichte sowenig weiß über meine Vorfahren, für mich einen Weg gefunden über meditative Gebete in der Natur in Kontakt zu kommen und möchte dieses Feld stärken. Voller Unsicherheit und Verletztlichkeit, was ich einlade, wenn meine Homepage diesen Namen trägt, und ob ich nicht zu unwissend bin, um das tun zu können, wagte ich dann den Sprung nach vorne und baute diese Seite auf.
Bis heute habe ich jedoch nicht wirklich darüber gesprochen, was ich herausgefunden hatte und was für mich utiseta ist. Denn in mir zeigte sich eine seltsame Angst: Angst in die rechte Ecke gedrückt zu werden, weil ich mich mit Germanen beschäftige. Eine Angst, nicht genug zu wissen, weil ich keine Historikerin bin. Eine Angst, nicht klar formulieren zu können, was utiseta gewesen sein könnte, weil es in unserer Kultur heikel sein kann, über Spiritualität, Gebete, Rituale und Zeremonien zu sprechen. Voller Unsicherheit, wie es gelingen kann, etwas neues und zeitgemäßes zu kreieren, aus der Landschaft heraus, vielleicht mit einer Beziehung zu dem was vor mir war aber ohne sich in alten Mythen und Bräuchen zu verlieren. Ich habe stattdessen versucht, eine möglichst allgemeine Formulierung über utiseta zu finden, die ich kommunizieren kann. Die möglichst viele Menschen einlädt, sich mit dem Draussen-Sein, dem in-Ruhe-und-Langsamkeit-draussen-sein zu beschäftigen. Vielleicht wird sich das jetzt ändern. Vielleicht ist es jetzt Zeit, nicht unbedingt von innen heraus, vielleicht wird es auch gebraucht. Hier und heute? Dieser Artikel ist ein erster Schritt.
Und was machen wir jetzt damit? Welche Zeremonien können wir heute kreieren, um die Verbundenheit mit der Landschaft und unseren Vorfahren zu kultivieren?
Meine Sehnsucht, einen winzigen Teil dazu beitragen zu können, grade in diesen ungewissen Zeiten in Kontakt mit der Mitwelt, der mehr-als-menschlichen Welt zu gehen, um wieder mehr innere Stabilität durch Verbindung zum großen und wechselhaften Lebensnetzwerk zu erlangen und dann von dieser inneren Stabilität auch die eigenen Ahn*innen um Hilfe zu bitten – diese Sehnsucht ist groß und trägt mich. Trägt mich durch all die Kurse, zu denen ich beitragen kann und durch all die Mentorings, an denen ich teilhaben kann.
Bin ich sicher, dass ich jetzt weiß, was utiseta ist und dass ich das Richtige tue?
Nein, das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich fühle mich nicht sicherer damit als vor ein paar Jahren. Ja, ich vertiefe jetzt schon seit Jahren meine eigene draussen-sein-Praxis.
Und was ich weiß: meine Sehnsucht, weiterzugehen wird nicht kleiner sondern größer. So reiche ich eine Hand meinen Ahn*innen und eine andere Hand den Menschen, die nach mir kommen werden, stehe mit nackten Füßen auf der Erde des Stückchen Landes, auf dem ich jetzt grade lebe, stecke meine Nase in den Wind all der Veränderungen und Krisen die grade da sind, hab Angst vor der Gegenwart, weine die Tränen der Trauer, und lache vor Freude über die Regentropfen auf den Spitzen der ausgedörrten Sommergräser.
Ich bitte euch von Herzen: wenn ihr Fragen, Kommentare, Hinweise, Kritik, Verbesserungen oder anderes habt, schreibt mir eine Mail über das Kontaktformular – ich freue mich auf eure Gedanken!
Mit dem Geruch von Sommerfeuchte und dem Meer von wilde Möhre Blüten auf unserer Wiese, Katharina