Pilze – verwoben mit dem saftig verrottenden Netzwerke der Erde
Es gibt etwas Magisches an dieser Jahreszeit, wenn Spätsommer und Frühherbst sich abwechseln, die Stoppelfelder morgens manchmal Nebelkleider tragen und die Wälder und Felder mit einem Farbenmeer aus rotem, goldenem und orangefarbenem Laub verzaubern. Und während die Bäume in ihrem prächtigen Schmuck erstrahlen, geschieht etwas weniger Auffälliges, aber ebenso Faszinierendes am Boden: Die Pilze werden sichtbar!
Unter anderem darum liebe ich diese Jahreszeit. In den leisen Tiefen der Wiesen und Wälder spielen Pilze eine entscheidende Rolle in der Natur. Sie sind die stillen Helfer, die das Gleichgewicht in unseren Ökosystemen kreieren. Wir sehen sie so selten, obwohl wir beständig auf ihnen leben, wandeln, sie in uns tragen und sie uns verzehren…
Für mich sind Pilze faszinierende Wesen und Tore zu einer tieferen Verbindung mit der Erde. In vielen mythologischen Geschichten sind Pilze Symbole für Transformation und Verbindung. Ihre mysteriösen Formen und ihre Fähigkeit, im Verborgenen zu wachsen, erinnern an die Schleier zwischen den Welten. In manchen Geschichten werden sie mit Magie und dem Unbekannten in Verbindung gebracht, ein Symbol für das Mysterium der Natur selbst.
Pilze sind sowohl Zersetzer, als auch Vermittler. Sie kommunizieren mit den Pflanzenwurzeln, und ihre Mykorrhiza-Netzwerke sind die unsichtbaren Fäden, die das Leben unter der Erde verweben. Sie ermöglichen, zusammen mit vielen Anderen, dass aus einsmals lebendigem organischen Material neuer Humus wird für neues Leben. Oft, wenn ich einen Pilz sehe, versuche ich reinzuspüren, wie tief ich mit der Erde verbunden bin, selbst mit den unsichtbaren Teilen, die sich unter meinen Füßen erstrecken. Auf welche Weise ich beitrage könnte, mehr Humus zu werden für das zukünftige Leben auf der Erde.
Besonders der Fliegenpilz (Amanita muscaria) fasziniert mich. Seine leuchtend rote Farbe und die charakteristischen weißen Punkte ziehen mich an, meine Augen wollen ihn bewundern, ihm nahe sein, ihn streicheln. Auf irgendeine Art und Weise macht allein sein Anblick mich glücklich. Vielleicht strahlt er etwas rebellisches aus, so knallig und “gifitg” ausschauend? Dabei ist er gar nicht tödlich giftig.
In einigen indigenen Kulturen, insbesondere in Nordeuropa und Sibirien, wurde der Fliegenpilz von Schamanen in ihren rituellen Praktiken verwendet. Er half ihnen, in veränderte Bewusstseinszustände zu gelangen und mit Ahnen, Geistern oder der spirituellen Welt zu kommunizieren. Der Fliegenpilz enthält unter andere, Ibotensäure und Muscimol. Muscimol ist psychoaktiv und kann Halluzinationen verursachen. Momentan wird der Fliegenpilz als potenzielle Mikrodosis für therapeutische Zwecke vor allem bei Depressionen diskutiert. Insbesondere wird sein Inhaltsstoff Muscimol manchmal als Alternative zu anderen psychotropen Substanzen wie Psilocybin-Pilzen oder LSD in Erwägung gezogen.
Die Ibotensäure im Fliegenpilz macht ihn jedoch so unverträglich, dass schon kleine Mengen oder die falsche Zubereitung üble Nebenwirkungen auslösen können wie Erbrechen, Überlkeit, Leberschäden etc.
Daher ist mein Zugang eher auf der non-physischen Ebene: ich setze mich neben den Fliegenpilz und bin mit ihm. Versuche die Beziehung zu ihm durch “miteinander Zeit verbringen” zu pflegen. Wie bei einer Freundschaft auch. Und tatsächlich: je mehr Zeit ich mit ihm verbringe, desto mehr erfahre ich von ihm und er von mir. Ich mag das, so langsam eine Freundschaft aufzubauen.
In einigen Büchern habe ich auch spannende Geschichten über den Zusammenhang zwischen dem Weihnachtsmann (der interessanterweise eine rot-weiße Bekleidung trägt) und seine Rentiere gefunden, die durch den Konsum von Fliegenpilzen fliegen können und so seinen Schlitten durch die Lüfte tragen.
They appear overnight,
on the stump of a cedar tree.
What for, in the night,
do they use to live by?
What is the cottony, gilled thing
under the bud of the oak tree?
What is the big, woody stem
of that tree, that tree?
What is there that’s hauntingly sweet
and comes from the edge of the dark?
What is there that’s scented and female
and comes from the edge of the dark?
Why did the mushrooms come,
why do they startle me?
“Mushrooms” (Margaret Atwood)