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Das Paradoxon des Lebendig-Seins – vor allem mit einem so großen präfrontalen Kortex wie wir Menschen

Stell dir vor, du liegst auf einer Wiese. Die Sonne wärmt deine Haut, eine leichte Brise streicht über dein Gesicht. Du atmest ein, spürst den Duft der Erde, das Summen der Insekten, das Rascheln der Blätter. Herrlich idyllisch. Für einen Moment scheint alles eins zu sein – du, die Welt, das große Gewebe des Lebens. Diese Vorstellung kann tröstlich sein. Die Idee, dass wir alle verbunden sind, dass es keine wirklichen Grenzen gibt, dass wir Teil eines harmonischen Ganzen sind.

Doch dann regt sich etwas. Vielleicht ein Gedanke, vielleicht ein Unbehagen. Kann es wirklich so einfach sein? Was ist mit dem Schmerz, mit dem Sterben, mit dem Kampf, der in allem Lebendigen steckt? Hier auf dieser Wiese – und auch in der weiteren Welt. Was ist mit den Aufmärschen der Rechten Szene in dieen Tage, den Kriegen in der Welt, der Polykrise? Sind wir auf diesem Planeten wirklich alle eins, oder gibt es auch das Andere – das Trennende, das Individuelle, das Unvereinbare?

Ich würde sagen: beides! Wir Menschen leben in einem Paradoxon. Einerseits erleben wir uns als einzigartige Individuen mit einem eigenen Körper, eigenen Gedanken, eigenen Emotionen. Erleben ganz eigene Biographien, mit mehr oder weniger Diskriminierung, Geschichten, Freuden, Beziehungen.
Andererseits sind wir zutiefst miteinander und mit der Welt verwoben. Alles an uns ist aus anderem gemacht: Die Luft, die wir atmen, war einst Teil anderer Wesen. Unser Körper trägt Wasser, das durch zahllose Kreisläufe gereist ist. Unsere Nahrung ist nicht nur Energie, sondern auch Beziehung – zu Pflanzen, Tieren, Bäumen, Pilzen. Die Lebensweise in Mitteleuropa ist zutiefst abhängig von der Ausbeutung von Menschen und Nicht-Menschen in anderen Teilen der Welt.

Die Idee der individuellen Autonomie wurde u.a. durch Philosophen wie Immanuel Kant geprägt. Er argumentierte, dass Vernunft und moralische Verantwortung das Individuum unabhängig von äußeren Einflüssen machen sollten. Doch diese Sichtweise – so kraftvoll sie in der Moderne wurde – trägt die Gefahr der Isolation in sich ([loveofallwisdom.com](https://loveofallwisdom.com/blog/2019/06/kants-quantitative-individualism/)).

Doch wir leben in einer Kultur, die uns über Jahrzehnte und Jahrhunderte intensiv suggeriert hat, dass wir getrennt sind. Dass der Mensch über der Natur steht, vielleicht auch über anderen Menschen steht. Dass wir unabhängige Individuen sind, die ihr Schicksal allein in den Händen halten. In dieser modernen Erzählung gibt es kaum Platz für das Paradoxe, das Widersprüchliche. Und doch ist es da.

Wir sehen es in den großen Krisen unserer Zeit: Klimakatastrophen, Kriege, Rechtsruck, die Ausbeutung der Natur, das Wiedererstarken autoritärer Strukturen. Sie alle wurzeln in einer tiefen Angst vor dem Kontrollverlust, in dem verzweifelten Versuch, das Paradoxon des Lebens zu verleugnen. Doch nichts bleibt unter Kontrolle. Leben ist Wandel, und Wandel bedeutet auch immer ein Sterben von dem, was war.

Was bedeutet es, sich diesem Paradoxon zu stellen? Nicht in der Hoffnung, es aufzulösen oder wegzumachen – sondern es als etwas Lebendiges zu halten?

Einatmen, Ausatmen: Eine somatische Praxis

Setze dich für einen Moment still hin. Atme ein. Spüre, wie die Luft in deine Lungen strömt, dich weitet. Atme aus. Lass die Luft wieder hinaus, nun voller Moleküle, die ein Baum in deiner Nähe vielleicht bald einatmen wird. Wiederhole das einige Male. Frage dich: Ist das, was einströmt, wirklich „nicht ich“? Ist das, was ausströmt, wirklich „ich“? Oder gibt es eine dritte Möglichkeit, die jenseits dieser Trennung liegt?

„Wir sind Wesen des Atems und der Berührung. Wir existieren, weil wir in einer Welt leben, die uns aufnimmt und aus uns besteht.“ – Andreas Weber

Der Biologe Francisco Varela argumentierte, dass Bewusstsein und Subjektivität tief in den biologischen und physischen Prozessen verwurzelt sind. Seine Theorie der Autopoiesis beschreibt, wie sich lebende Systeme selbst erhalten und gleichzeitig in einem fortwährenden Austausch mit ihrer Umwelt stehen ([pubmed.ncbi.nlm.nih.gov](https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12795206/)).

Wenn wir uns als Teil eines großen Ganzen erkennen, bedeutet das nicht, dass wir unsere Individualität aufgeben. Wir bleiben Individuen – mit eigener Wahrnehmung, eigenem Schmerz, eigener Freude. Doch wir können sie nicht isoliert verstehen. Unsere Gefühle sind nicht nur unsere eigenen, sie entstehen in Beziehung. Unsere Krisen sind nicht nur unsere individuellen Krisen, sondern spiegeln das größere Muster des Lebens. Unser Sterben ist nicht unser Ende, sondern ein Wandel in etwas anderes.

„Wir sind nicht dazu gedacht, von der Welt zu zehren. Wir sind gedacht als Festmahl für die Welt.“ – Bayo Akomolafe

Unsere Kultur hat uns gelehrt, Beziehungen zu verhandeln wie Verträge: „Was bringt mir das?“ Doch was, wenn Beziehung nicht auf Gewinn oder Verlust basiert, sondern auf wechselseitigem Sein? Auf Hingabe, ohne Garantie? Auf Fürsorge? Welche Beziehungen in deinem Leben würden sich verändern, wenn du sie als Netz aus wechselseitiger Gabe betrachtest?

„Es gibt keine Tür, die uns vom Rest der Welt trennt. Nur eine Einladung zum Mitsein.“ – Vanessa Andreotti

Viele indigene Kulturen haben über Jahrtausende hinweg eine Praxis der Reziprozität bewahrt – ein tiefes Wissen darum, dass Leben nur im Geben und Nehmen existieren kann. Trotz Kolonisierung, Unterdrückung und Gewalt haben sie Fürsorge nicht als moralische Verpflichtung, sondern als gelebte Beziehung verstanden. Ihr Wissen erinnert uns daran, dass wir nicht über die Welt wachen, sondern mit ihr tanzen. Dass alles, was wir geben, zu uns zurückkehrt. Dass Fürsorge nicht ein Akt des Verzichts, sondern des tiefsten Reichtums ist.

Stell dir noch einmal die Wiese vor. Die Sonne, die deinen Körper wärmt. Der Wind, der dich berührt. Das Summen der Insekten. Doch diesmal frage dich: Was gibst du zurück? Was kannst du für diese Wiese tun? Für den Wind, für die Erde, für das Wasser, das dich nährt? Vielleicht bedeutet Mitsein nicht nur Wahrnehmen, Fühlen und Danken, sondern auch Tun. Ein Lied singen. Einen Baum pflanzen. Aufforstungsprojekte unterstützen. Verzichten auf Konsum. In dem Fühlen, dass Individualität und Kollektivität zwei Seiten der menschlichen Lebensweise sind.

Heute, vielleicht gleich nach dem Lesen dieses Textes, lade ich dich ein, mit jemandem – einem Menschen oder einem anderen Wesen in deiner Umgebung – mit diesem Paradoxon zu sitzen. Vielleicht bei einer Tasse Tee, vielleicht im Wald, vielleicht in der Stille eines Moments. Sprich darüber, spüre es, haltet es gemeinsam aus. Und wenn du magst, tue etwas für die Welt um dich herum – so, wie sie es unaufhörlich für dich tut.

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